Auch wenn die WegbereiterInnen selbst ihre Ansätze als Gestaltungstherapie, Kunsttherapie, Art Therapy oder Kunst- und Gestaltungstherapie benennen, so sehen wir diese als die wesentlichen WegbereiterInnen und als Fundament (siehe Abbildung 1) unserer Methode der Mal- und Gestaltungstherapie an.
1.1. Helena Schrode
Helena Schrode, geb. 1927, ursprünglich Musik- und Kunstpädagogin. Sie war wesentlich an der Entwicklung einer eigenständigen Richtung der Gestaltungstherapie beteiligt und war Gründungsmitglied des Arbeitskreises für Gestaltungstherapie.[1] Viele Jahre lang war sie dort Weiterbildungsleiterin und in einer psychotherapeutischen Klinik in Stuttgart-Sonnenberg tätig.[2]
Gestaltungstherapie wird als Therapie mit bildnerischen Mitteln auf tiefenpsychologischer Grundlage verstanden. Das Behandlungsziel ergibt sich aus dem psychodynamischen Krankheitsverständnis: „In der Beziehung zum Therapeuten soll der Patient durch sein bildnerisches und plastisches Handeln sich selbst begegnen, Einsicht in seine Störung mit den ihr zugrunde liegenden Konflikten gewinnen und Kräfte zur Überwindung der Krankheit mobilisieren.“[3]
Helena Schrode betont das Setting, in der die Gestaltungstherapie stattfindet. Charakteristisch ist die regelmäßige Abfolge des Gestaltungsprozesses mit anschließend tiefenpsychologisch fundierter Reflexion. Ausgangspunkt ist damit der Gestaltungsprozess – die Tätigkeit und nicht das Produkt.
Nach der Gestaltung versucht der/die PatientIn mit Hilfe des/der TherapeutIn die unbewussten Regungen zu erfassen, die im Tun sichtbar geworden sind und sich auch in der Gestaltung ausdrücken. Im Gestaltungsprozess verbindet sich bewusstes und unbewusstes Tun, der/die Gestaltende erlebt sich als Handelnde/r. Das intensive Betrachten und das Besprechen der Gestaltung fördern die Integration verdrängter oder bisher vorbewusst gebliebener psychischer Inhalte.[4]
Helena Schrode entwickelte das begleitende Malen, das sie in der Arbeit mit Menschen mit Persönlichkeitsstörungen an der psychotherapeutischen Klinik in Stuttgart-Sonnenberg einsetzte. In ihrem Buch „Klinische Kunst- und Gestaltungstherapie“ beschreibt sie das Setting, Erfahrungen, Fallbeispiele und die dahinter liegende Theorie. Sie beschreibt aber nicht nur spezielle gestaltungstherapeutische Methoden für die Behandlung von PatientInnen mit Persönlichkeitsstörungen, sondern auch allgemeine Merkmale der tiefenpsychologisch fundierten Gestaltungstherapie.[5]
Das begleitende Malen nach Helena Schrode[6]:
PatientIn und TherapeutIn malen gleichzeitig, jeder auf einem Blatt Papier, PatientIn und TherapeutIn sitzen sich gegenüber oder über Eck – der/die PatientIn legt die Sitzordnung fest und beginnt mit dem Malen. Der /die TherapeutIn stimmt ein und interveniert auf die Gestaltung des/der PatientIn. Im Anschluss folgt die gemeinsame Betrachtung der Arbeiten. Durch diese Methode soll eine Entwicklungsförderung gelingen, indem eine gelingende Beziehung simuliert wird. Durch eine neue Begegnung über das Malen wird das „Mentalisieren“ gefördert. „Mentalisieren heißt, sich selbst von außen zu sehen und den anderen von innen.“[7]
Der Prozess und das Setting, in der die Gestaltungstherapie stattfindet, stimmen auch mit dem Setting der Mal- und Gestaltungstherapie überein.
1.2. James Hillman
James Hillman (geb. 1926, gest. 2011) war ein bekannter Psychologe, dessen imaginative Psychologie in die Kulturgeschichte eingegangen ist. Er gilt als Begründer der Archetypischen Psychologie und erhielt seinen Ph.D. 1959 von der Universität Zürich, wo er bei C. G. Jung studierte und bis 1969 die erste Direktorenstelle am C. G.-Jung-Institut innehatte.[8] Mitte der 1970er-Jahre kehrte er in die USA zurück und wurde Mitglied des Dallas Institute of Humanities and Culture.
In der Weiterentwicklung der Arbeit C. G. Jungs begründete er die „Archetypische Psychologie“.
Das „Bild“ als Ausdruck der Imagination, in der Poesie, im Traum[9] oder in der bildenden Kunst, war für ihn von überragender Bedeutung – als Gegenmittel zur Wortwörtlichkeit, die den alltäglichen Diskurs dominiert. Hillman warnte vor den reduktiven Tendenzen von Interpretation und theoretischer Spekulation. Er plädiere für ein „Festhalten am Bild“, dessen oft undeutliche oder paradoxe Sprache authentischer spräche als der verbale Diskurs.
Besonders empfehlenswert ist hier sein Buch „Am Anfang war das Bild“.
Hillman stützte sich auf vorchristliche Denkweisen – eine polytheistische Perspektive, die die unzähligen Möglichkeiten der menschlichen Psyche widerspiegelt, vorgestellt als Götter und Göttinnen, Mythen und Metaphern, deren polymorphe Natur für die Instinkte sprach, die unser Denken und Handeln wahrhaftiger formen als das Gute.[10]Die Entwicklung der Archetypischen Psychologie wird von Carl Jungs Analytischer Psychologie und den Ideen und Gedanken der klassischen Griechen sowie der Renaissance und der Romantik beeinflusst. Einfluss auf sein Werk haben etwa Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger, Henry Corbin, John Keats, Percy Bysshe Shelley, Petrarch und Paracelsus, die eine gemeinsame Sorge um die Psyche teilen.[11]
In seinem letzten Buch diskutierte er gemeinsam mit Sonu Shamdasani über das gerade veröffentlichte Rote Buch von C. G. Jung. Hier wird noch einmal der hohe Stellenwert der Malerei im Leben und Werk Jungs erörtert.
Der Erfolgsautor versuchte mit mehr als 20 Veröffentlichungen die Analytische Psychologie vielen Menschen vertrauter zu machen und die Ideen C. G. Jungs wiederzubeleben. Die meisten deutschen Ausgaben seiner Bücher sind allerdings vergriffen oder können nur mehr gebraucht gekauft werden. Eine Ausnahme bildet das Buch „Die Suche nach Innen. Die Begegnung mit sich selbst: Psychologie und Religion.“[12]
1.3. Rosemarie Daniel
In mehreren Aufsätzen beschreibt die Analytische Psychotherapeutin Rosemarie Daniel das Bild als therapeutisch wirksames Phänomen. In ihrer mehr als 18-jährigen Tätigkeit arbeitete sie mit spontanen Gestaltungen ohne künstlerischen Anspruch, um im analytisch-therapeutischen Dialog Aussagen über das Unbewusste herauszufinden.
Rosemarie Daniel sieht im gestalterischen Ausdruck ein Grundbedürfnis und eine Grundfähigkeit des Menschen. „Er hat kosmogonische – weltschöpferische – Qualität. In der Analytischen Psychologie spielen auf dieser genuinen Fähigkeit des Menschen beruhende imaginative Verfahren wie Ton, Malen, Sandspiel, aber auch speziellere Techniken, wie die Gestaltung von Puppen und Masken, eine wichtige Rolle. Das vom Patienten Geschaffene wird als spontane Aussage der Psyche verstanden, auf archetypische und persönliche Chiffren hin untersucht und in den therapeutischen Prozess miteinbezogen.“[13]
„Der Patient, der bereit ist, sich dieser schöpferischen Aufgabe zu stellen, vollzieht damit einen Schritt zur Begegnung und aktiven Auseinandersetzung mit sich selbst. Diese Methode entspricht einer Form von C. G. Jung beschriebenen Aktiven Imagination, „welche in einem besonderen Training der relativen Ausschaltung des Bewusstseins besteht, um den unbewussten Inhalten zur Entfaltung zu verhelfen“.
„Deutungen, die sich auf rationaler Ebene bewegen, zerstören die lebendige, ganzheitliche und in die Zukunft reichende Wirkung solcher Bilder, die Ausdruck innerer Seinskonstellationen sind. Sie entstehen in einem echten schöpferischen Akt unter intensiver Gefühlsbeteiligung und sind, wie alles Schöpferische, Symbol. Sie erfordern daher anteilnehmendes ganzheitliches Erleben, ein gemeinsames Umkreisen ihres intellektuell nicht fassbaren Sinngehaltes oder Bedeutungskerns.“[14]
Rosemarie Daniel betont neben der Bedeutung des Symboles und des Gestaltungsprozesses damit eines der wesentlichen Prinzipien der Mal- und Gestaltungstherapie: die behutsame Unterstützung des/der TherapeutIn beim Erschließen der Deutung. Die Deutungshoheit obliegt immer dem/der Gestaltenden.
1.4. Ursula Eschenbach
Ursula Eschenbach, Ärztin, Psychotherapeutin, Lehranalytikerin, Dozentin, Forscherin und Autorin.
Ursula Eschenbach begründet 1975 das C. G.-Jung-Institut Stuttgart. Als Herausgeberin und Mitautorin der «Theoretischen Konzepte der Analytischen Psychologie C. G. Jungs» und in weiteren Veröffentlichungen trug sie wesentlich zur Fortentwicklung der Tiefenpsychologie bei. [15]
Das Ich-Bewusstsein mit seinen Ich-Funktionen war mehr als 20 Jahre lang einer ihrer Forschungsschwerpunkte, denen sich Ursula Eschenbach am C. G. Jung-Institut Stuttgart und in den Polikliniken für Kinder, Jugendliche und Erwachsene widmete. Sie betrachtete die Ganzheit des Ich-Komplexes mit seinen einzelnen Funktionsbereichen, den Einstellungs- und Orientierungsfunktionen sowie das vernetzte Beziehungsfeld zum persönlichen und kollektiven Unbewussten. Sie sammelte empirische Fakten, theoretische Abstraktionen und praktische Beispiele aus analytischen Dialogen und Träumen. Sie kommentierte ihre Forschungen durch Bilddokumente des Unbewussten Malens.[16] Den Baum sah sie z.B. als Leitmotiv und Symbol der Selbstentfaltung. Das Geheimnis des Lebens scheint sich insgesamt in der Baumsymbolik zu spiegeln (siehe Abbildung 3). Sie arbeitete aber auch mit unbewusst gemalten Bildern zum Thema Trennungskomplex, Wachstum und Bewusstwerdung sowie zur Schattenthematik.
In diesem Kontext hat das «Eschenbach-Diagramm», eine graphische Gesamtdarstellung der Psyche, großes Interesse erweckt. In Verbindung mit diesem Ich-Selbst-Konzept hat Ursula Eschenbach die Gebiete der Symbolik, der Mythologie (und hier besonders die des asiatischen Kulturkreises), der Traumarbeit, der Aktiven Imagination, des Unbewussten Malens sowie der Arbeit mit dem «I Ging» bereichert und für viele erfahrbar gemacht.
1.5. Zusammenfassung und Ausblick
„Wer seine Wurzeln nicht kennt, kennt keinen Halt.“
Stefan Zweig
Es ist wichtig für Mal- und GestaltungstherapeutInnen nicht nur die Ursprünge der Mal- und Gestaltungstherapie mit den Urvätern und -müttern wie C. G. Jung, Jacoby, Tomalin, Bach, Riedel zu kennen, sondern auch die kontinuierliche Weiterentwicklung zu verfolgen und zu verstehen. Es ist bereichernd sich die Arbeiten von Helena Schrode, James Hillman, Rosemarie Daniel und Ursula Eschenbach anzusehen und darin die Wurzeln der Mal- und Gestaltungstherapie zu erkennen, auch wenn diese in Vergessenheit geraten zu sein scheinen. Nur wenn wir als Mal- und GestaltungstherapeutInnen unser methodisches Fundament verstehen und würdigen, können wir kraftvoll zu unserer eigenen Methode stehen. Wir verstehen dadurch noch besser, was wirkt und auf welch reiches Erbe wir in unserer Arbeit zurückgreifen können.
In einem dritten Teil dieser Artikelserie werden wir uns auf neuere Entwicklungen der Mal- und Gestaltungstherapie konzentrieren und die Entwicklungen der „Next Generation“ wie Eva Brenner, Gisela Schmeer und Gregg M. Furth vorstellen.
Literaturquellen
[1] https://www.dagtp.de/tagung/rueckblick-2019.php
[2] vgl. SCHRODE HELENA (1995): Klinische Kunst- und Gestaltungstherapie
[3] https://deutsche-sektion-igkgt.de/wp-content/uploads/2015/03/Heft889.pdf
[4] vgl. SCHRODE HELENA (1995): Klinische Kunst- und Gestaltungstherapie, 12
[5] vgl. SCHRODE Helena (1995): Klinische Kunst- und Gestaltungstherapie. Regression und Progression im Verlauf einer tiefenpschologische fundierten Therapie, 127
[6] Siehe Abbildungen 2 und 3: Beispiele für einen begleitenden Malprozess; SCHRODE HELENA (1995): Klinische Kunst- und Gestaltungstherapie, 162 f
[7] Vgl. https://studip.hks.jetzt/sendfile.php?type=0&file_id=826ea1b19c43ef127e4bb297fe23b1fa&file_name=Begleitendes+Malen_Tonfeld_Messpainting.pdf , abgerufen am 02.03.2022
[8] https://jameshillmansymposium.com/james-hillman/, abgerufen am 01.03.2022
[9] Siehe HILLMAN James (1983): Am Anfang war das Bild. Unsere Träume – Brücke der Seele zu den Mythen
[10] https://www.theguardian.com/science/2011/dec/21/james-hillman, abgerufen am 01.03.2022
[11] https://en.wikipedia.org/wiki/James_Hillman, abgerufen am 01.03.2022
[12] HILLMAN James (2015): Die Suche nach Innen. Die Begegnung mit sich selbst: Psychologie und Religion.
[13]DANIEL Rosemarie (1993): Archetypische Signaturen im unbewussten Malprozess, 11
[14] DANIEL Rosemarie (1974): Manifestation des Unbewussten. Das Bild als therapeutisch wirksames Phänomen.
[15] https://www.karger.com/Article/PDF/13692, abgerufen am 28.02.2022
[16] ESCHENBACH Ursula (1996): Der Ich-Komplex und sein Arbeitsteam: Topographie der Selbstentfaltung, 14 f